Die „Generation What“ Studie der „European Broadcasting Union“ hat ergeben, dass 59% der jungen Menschen zwischen 18 und 34 Jahren wenig bis kein Vertrauen in Europa und die europäischen Institutionen haben. Dennoch halten 71% der Befragten die EU für wichtig und möchten nicht, dass das eigene Land die Union verlässt. Europaweit nahmen von 2016 bis 2017 fast eine Million junger Menschen an der Studie teil.

Das mangelnde Vertrauen der Menschen ist ein Risiko für die EU. Gleichzeitig zeigt die Befragung, dass die überwiegende Mehrheit das europäische Integrationsprojekt unterstützt. Gerade im Vorfeld der Europawahl 2019 gilt es daher zu sagen: Die EU ist eine lebendige Demokratie mit zahlreichen Partizipationsmöglichkeiten und verdient daher Vertrauen.

Die Verbände der katholischen non-formalen Jugend-  und Erwachsenenbildung AKSB, BDKJ, JHD, KEB und FEECA halten es daher für wichtig, ihre Fachkräfte für Jugendbildung zu in der europapolitischen Bildung und der EU-Vermittlung weiterzubilden.

Den Lehrkräften der non-formalen Jugendbildung ist die Bedeutung des Themas EU bewusst. Um die eigene Kompetenz auf diesem Gebiet zu stärken, wünschen sich viele Fachkräfte eine Stärkung des fachlichen Austausches und einen Ausbau des Weiterbildungsangebotes zu diesem Thema. Dies würde zu einem quantitativen und qualitativen Ausbau der Bildungsangebote zu den Themen Europa, Europapolitik und EU in den Einrichtungen vor Ort führen. Hier setzte das Seminar „Jede Stimme zählt! Aktive EU-Bürgerschaft und die Europawahl 2019“ an. Ziel war es, gemeinsam mit den Fachkräften Hindernisse für die Vermittlung der EU zu identifizieren und anschließend Lösungsmöglichkeiten und Konzepte für konkrete Bildungsveranstaltungen zu entwickeln.

Das Seminar fand vom 4. bis zum 5. Dezember 2018 in Brüssel statt und richtete sich an Lehrkräfte der non-formalen Jugendbildung. Die Teilnehmer*innenplätze waren schnell vergeben und mussten wegen der großen Nachfrage mehrfach aufgestockt werden. Am Ende nahmen 37 Personen an der Weiterbildung teil.

An Tag eins beschäftigten sich die Seminarteilnehmer*innen mit Beispielen guter Praxis der Europabildung. Frederik Kempf und Titus Möllenbeck stellten die Europäischen Jugendwochen des Hauses am Maiberg in Heppenheim vor. Kathrina Zey-Wortmann präsentierte die Europaarbeit der KEB-Trier. Ein Vortag von Märthe-Maria Stamer von der Georg-August Universität Göttingen über den Stand der politikdidaktischen Forschung zur EU-Vermittlung lieferte hilfreiche Erkenntnisse aus der Fachwissenschaft. Ein Gespräch mit Michael Hoppe, dem Leiter der Wahlkampfabteilung der S&D-Fraktion im Europäischen Parlament, rundete den Tag ab.

Die Führung durch das Parlamentarium durch Projektleiter Michael Manz vom Europäischen Parlament, gewährte den Seminarist*innen hilfreiche Einblicke in ein weiteres Beispiel guter Praxis. Die anschließende Eigenarbeitsphase beendete den Input und gab den Teilnehmer*innen die Möglichkeit selber aktiv zu werden. In mehreren Arbeitsgruppen analysierten die Lehrkräfte die zentralen Schwierigkeiten der EU-Vermittlung und berieten welche Ideen für eine bessere politische Bildung zur EU sich aus den Vorträgen und Gesprächen herleiten lassen. Anschließend waren die Kleingruppen aufgefordert Konzepte für Bildungsveranstaltungen zu entwickeln und vorzustellen.

Die EU kann nicht alleine vermittelt werden, indem sie in Seminaren oder durch Textlektüre erläutert wird. Aus Sicht der Referent/-innen sind daher Veranstaltungsformate sinnvoll, die ein mehrschichtiges Erleben möglich machen. Verschiedene mehrdimensionale Ansätze, die im Gespräch waren, haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen können sie Personen nicht nur kognitiv, sondern auch emotional ansprechen. Zum anderen rezipieren die Lernenden nicht nur, sondern handeln aktiv.

In diesem Zusammenhang wurden die Durchführung von Planspielen und das Aufsuchen europäischer Lernorte mehrfach als Ideen vorgebracht. Unter dem Motto „Europa im Alltag entdecken“, so ein weiterer Vorschlag, könnten mit Lernenden Stadt-Rallyes durchgeführt und die Ergebnisse in Foto-Storys dokumentiert werden. Ähnlich gelagert ist der Vorschlag, einen Fotowettbewerb „Europa vor Ort: Wo ist Europa bei mir“ durchzuführen.

Die Selbsteinschätzung der Lehrkräfte vor und nach dem Seminar zeigt deutliche Kompetenzverbesserungen auf allen abgefragten Wissensgebieten. Das verstärkte Monitoring der Bildungsaktivitäten vor Ort zeigt einen erheblichen Ausbau des Angebots, der auf das Seminar zurückgeführt werden kann. Das Projekt hat die angestrebten Ziele vollständig erreicht. Die Wirkung kann als sehr positiv bewertet werden.

Die Beiträge der Referent*innen haben gezeigt, dass die Europavermittlung vor bestimmten Hemmnissen steht. Erstens ist die Europäische Union ein politisches Gebilde, das eine hohe Komplexität aufweist. Zweitens können die Zusammenhänge zwischen der EU und dem alltäglichen Leben der Bürger*innen abstrakt erscheinen. Drittens wird es mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges immer schwieriger, sich an den ursprünglichen Gründungsauftrag der Europäischen Gemeinschaften zu erinnern: Den Nationalismus in Europa zu besiegen, um Frieden und Sicherheit zu gewährleisten.

Alle Referent*innen zeigten eine klare Präferenz für Veranstaltungsformate, die Lernenden ein mehrschichtiges Erleben ermöglichen. Die EU kann nicht allein durch Erläuterungen in Seminaren oder die Lektüre von Texten vermittelt werden. Diese Erkenntnis war unter den Vortragenden Konsens. Die verschiedenen mehrdimensionalen Ansätze haben zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen besitzen diese das Potential, Personen nicht nur kognitiv, sondern auch auf emotionaler Ebene anzusprechen. Zum anderen rezipieren die Lernenden nicht nur, sondern führen aktiv Handlungen aus.

Politische Planspiele sind ein derartiger mehrschichtiger Ansatz, der in der politikdidaktischen Forschung viel Aufmerksamkeit erfährt. Bei einem Planspiel nehmen die Teilnehmer*innen für einen begrenzten Zeitraum die Rollen politischer Akteure ein und verhandeln einen Rechtsakt. Verschiedene Studien haben Belege für die Wirksamkeit von Planspielen im Schulbereich zu Tage gefördert. Planspiele ermöglichen Schüler*innen nachzuempfinden, wie es ist, an einem politischen Prozess teilzunehmen. Vielfach wird im Anschluss ein gesteigertes Verständnis für die Langwierigkeit politischer Verhandlungen geäußert, da es gar nicht so einfach sei, sich in Streitfragen zu einigen.

Ein Format, das in besonderer Form auf „Erleben“ und „Aktivität“ setzt, sind die Europäischen Jugendwochen, wie sie im Haus am Maiberg durchgeführt werden. Durch die verhältnismäßig lange Dauer der Veranstaltungen von zwei Wochen und das Zusammenleben einer gemischt-nationalen Gruppe im Tagungshaus ist ein besonders intensives Kennenlernen möglich. Durch die auftretenden gruppendynamischen Prozesse können Emotionen zu politischen Themen offen ausgedrückt werden. Die Dauer von zwei Wochen ermöglicht den Trainer*innen umfangreiche Aktivitäten durchzuführen. Die Europäischen Jugendwochen werden in ihrer Wirkung auf die Teilnehmer*innen als sehr positiv eingeschätzt.

Als zeitlich kürzere Formate bieten sich Studienfahrten und Exkursionen an, wie sie von der KEB Trier und auch vom Haus am Maiberg durchgeführt werden. Dazu gehören Fahrten nach Straßburg und Brüssel, um die europäischen Institutionen aus nächster Nähe kennenzulernen. Zu nennen sind auch Fahrten mit eher historischem Charakter nach Verdun, nach Schengen oder zum Grab Robert Schumans. Derartige Exkursionen helfen, die nationalistische und kriegerische Vergangenheit Europas in Erinnerung zu rufen.

Auch die europäischen Parteien setzen in ihren Aktivitäten zur Europawähl auf die aktive Einbeziehung. In Bürgerdialogen und der „go-local“-Initiative wird der Kontakt mit Bürger*innen gesucht. Daneben besitzen die Auswahl von möglichst interessanten Themen, eine gute PR-Arbeit und die Verknüpfung mit Personen eine hohe Bedeutung.

Die Teilnehmer*innen des Seminars schlugen in ihrer Eigenarbeitsphase verschiedene Lösungsansätze vor. Einige der Ideen bezogen sich auf die Art und Weise, wie in der Bildungsarbeit über die EU kommuniziert wird. Konkret wurde vorgeschlagen, die Vorteile der Union stärker in den Vordergrund zu rücken und zu diskutieren, wie die EU verändert werden müsste, damit diese Vorteile maximiert werden: „Wo profitieren wir von der EU? Was bräuchte es, damit wir von der EU profitieren?“ Andere Ideen zielten darauf, die Chancen der europäischen Vielfalt stärker zu betonen und danach zu fragen, was die Alternative zu Europa sei.

Zwei der gemachten Vorschläge betonten die Wichtigkeit, an das geschichtliche Fundament Europas zu erinnern und der historischen Vermittlung sowie der Erinnerungskultur einen höheren Stellenwert einzuräumen.

Die dritte große Gruppe der durch die Teilnehmer*innen erarbeiteten Lösungsansätze schlägt mehrschichtige, erlebnisbezogene Bildungsansätze vor. Die Durchführung von Planspielen und das Aufsuchen europäischer Lernorte wurden als Ideen vorgebracht. Mittels mehr gemischtnationaler Seminare könne für die Lernenden im Umgang mit anderen Europäern Europa erfahrbar werden. Insgesamt müssten der Lebenswelt- und Alltagsbezug Europas eine stärker herausgearbeitet werden.

Im zweiten Schritt der Eigenarbeitsphase entwickelten die Teilnehmer*innen in Gruppenarbeit konkrete Ideen für Bildungsveranstaltungen. Dabei wurde die Idee die wahrgenommene Abstraktheit Europas durch die Stärkung des Alltagsbezuges zu stärken mehrfach aufgenommen. Unter dem Motto „Europa im Alltag entdecken“ so ein Vorschlag könnten mit Lernenden Stadtrallyes durchgeführt und die Ergebnisse in Fotostories dokumentiert werden. Ähnlich gelagert ist der Vorschlag, einen Fotowettbewerb „Europa vor Ort: Wo ist Europa bei mir“ durchzuführen. Als niedrigschwelliges Angebot eigneten sich musikalische und kulinarische Entdeckungsreisen. Aufgenommen wurde die Idee, die „Gamification“ als Unterstützung der politischen Bildung ernst zu nehmen und Planspiele zu veranstalten. Das Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen, das auf der Fachtagung durch Veronika Schniederalbers vertreten war, hat seit Januar 2019 eigene Planspiele entwickelt und durchgeführt. Die Idee, durch Exkursionen und Fahrten zu Entscheidungsorten Begegnungen und Erlebnisse zu schaffen, wurde mehrmals zum Ausdruck gebracht. Die Einbindung von Kandidat*innen und Abgeordneten, Vorträge von Zeitzeug*innen und Wahlbeobachtungsseminare wurden ebenfalls genannt.

Alle Seminarergebnisse finden Sie aufbereitet und dokumentiert im Veranstaltungsbericht, der hier heruntergeladen werden kann.